2.9.2. Die beiden Ebenen des Handelns

Wir können prinzipiell nicht wissen, was ein Subjekt tut – nicht einmal bei uns selbst –, weil sowohl die Subjekte wie auch die Transzendenz als ihr Lebensraum total unbekannt sind.  

Bei mir selbst weiß ich jedoch immerhin, was ich tun will; meine Absichten oder Intentionen sind mir bekannt.

Das nutzen wir, um einen Schritt weiterzukommen, und unterscheiden dafür zwei Handlungs-Ebenen:

 

Die erste entspricht dem unwißbaren Handeln im engeren Sinne, und wir nennen sie „Subjekt-Ebene“.

Ihr gehört insbesondere die Freiheit an. Daß wir niemals entscheiden können, ob unser Tun ein freiheitliches ist oder aus irgendwelchen Zwängen resultiert, fügt sie sich gut in die allgemeine Unwissenheit der Subjekt-Ebene ein.

 

Die zweite oder Orientierungs-Ebene umfaßt unsere explizit-aktualisierten sowie implizit-potentiellen Wissungen. An ihnen richten wir unsere Ziele sowie Befürchtungen aus und gelangen zu bestimmten Intentionen, die wir – jedoch nicht auf der Orientierungs-, sondern – auf der Subjekt-Ebene zu verwirklichen suchen. 

Wie das funktioniert, das heißt, wie aus unseren Intentionen wirkliche Taten werden – oder eventuell auch nicht –, können wir wegen der unzugänglichen Subjekt-Ebene natürlich ebenfalls nicht wissen. Für einen etwaigen Mißerfolg kommen mindestens zwei Gründe infrage:

Zum einen sind uns andere Leben zwar nicht zugänglich, spielen aber in das unsrige hinein.

Und zum anderen ahnen wir nicht, wozu das Unbewußte der Orientierungs-Ebene uns auf der Subjekt-Ebene antreibt.

 

Das Bibelzitat „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ stimmt also immer, weil wir an die Subjekt-Ebene des Handelns nicht herankommen. Vielleicht ist uns sehr klar, was wir wollen, aber das eine hat mit dem anderen möglicherweise nichts zu tun.

Es geht doch keinswegs um einen simplen Vergleich zwischen unserem Wollen auf der Orientierungs- und unserem Handeln auf der Subjekt-Ebene. Das Problem besteht vielmehr darin, daß letzteres gar nicht vorkommt und folglich auch nicht mit unserem Wollen verglichen werden kann; das sicht- und dadurch vergleichbare „Handeln“ ist ein traditioneller Irrtum.   

Ich

– möchte einem Menschen helfen – Orientierungs-Ebene –,

– sehe auch, daß „ich es tue“, – traditionelle Abbild-Ebene –

– weiß aber nicht, was ich wirklich tue – Subjekt-Ebene.

 

Subjekte handeln; sowohl Objekte als auch ihr „Handeln“ sind meine Konstruktionen, und das dazu erforderliche Konstruieren gehört zu meinem Handeln.

 

AD: „Wir können also keine Handlungen wahrnehmen . . .

Aber im Spiegel sehe ich jetzt mich selbst lesen und unsere Tochter spielen.“

Wir könnten Handlungen nur wahrnehmen, wenn sie Referenten wären, und die gibt es für uns nicht (mehr).

Sie haben eine [Ich-lese]- und eine [Tochter-spielt]-Wahrnehmung; beide gebe ich sehr gerne zu. Das sind aber keine Wahrnehmungen (2) vom Handeln der Subjekte (3), sondern „Handlungen“ der Objekte (2) durch Ihr Wahrnehmen (1).

Mit anderen Worten:

Ihre Wahrnehmungen bestehen nicht, weil irgendwer handelt und Sie das – mehr oder weniger zufällig – wahrnehmen, sondern weil Ihr Wahrnehmen als das Primäre diese Wahrnehmungen hervorbringt.

 

AD: „Damit verstehe ich endlich auch, daß ich nur Zugang zum eigenen Leben besitze.

Die Wahrnehmungen sind allein meine Wahrnehmungen und bilden keine Brücke zu einem anderen Leben, mit deren Hilfe ich etwas von ihm wahrnehme. Wer das bestreitet, geht tatsächlich von einem erreichbaren anderen Leben aus und betrachtet es als Referent seiner Wahrnehmungen.

Auch meine Wechselwirkung mit fremden Leben bestreite ich nicht; aber sie spielt auf der Subjekt-Ebene und ist damit natürlich so unereichbar, wie mein eigenes Handeln, das ja lediglich eine Komponente unserer Wechselwirkung darstellt.

Ich kann stundenlang darüber sprechen, was ich alles tun will oder – im traditionellen Sinne – angeblich auch tue aber das ist nur Schall und Rauch.“

 

Ich bin das einzige Subjekt (in) meiner subjektiven Realität und damit auch der einzige Wahrnehmende.

Das bedeutet aber nicht, daß ich die subjektive Realität wahrnehme; und dies sogar aus zwei Gründen:

Zum einen geschieht alles Handeln – folglich auch mein Wahrnehmen – auf der Subjekt-Ebene, von der ich nichts wissen kann; die Annahme, die subjektive Realität wahrzunehmen, wäre also völlig aus der Luft gegriffen.

Zum anderen wäre sie nicht nur willkürlich, sondern sogar falsch, weil alles Wissen der Orientierungs-Ebene angehört und ich die subjektive Realität also nicht wahrnehme, sondern mich an ihr orientiere.

 

Hinsichtlich der Wahrnehmungen unterscheiden wir uns somit in zwei grundsätzlichen Punkten von der Tradition:

1. Deren objektive Realität wird für uns zu einer subjektiven.

2. Wir bilden die Realität nicht ab, sondern orientieren uns an ihr; deswegen besitzen die Wahrnehmungen keine Referenten.

Nun könnte man endlos darüber diskutieren, ob wir nach diesen zwei Anderungen nicht auch die Wahrnehmungen – wie die Psyche – umbenennen sollten. Ich habe mich dagegen entschieden, weil die Wahrnehmungen weiterhin die wirklichen Wissungen bleiben und den unwirklichen Vorstellungen gegenüberstehen.

Nur ihr Verständnis oder ihre Interpretation andern sich; aus den Abbildern werden Konstruktionen

 

AD: „Allmählich fügen sich die Einzelteile wie bei einem Puzzle zusammen . . .

In meinem Bewußtsein kommt also nur ein einziges Subjekt vor; das bin ich selbst – ohne zu wissen oder auch nur wissen zu können, was „ich selbst“ bedeutet.

Darüber hinaus sind mir nur Objekte im Sinne von Nicht-Subjekten gegeben.

An dieser Stelle habe ich noch ein größeres Problem, denn hier scheint mir etwas ganz Wesentliches zu fehlen. Sie vertreten zwar keinen Solipsismus, aber trotzdem ist jeglicher Kontakt mit anderen Subjekten ausgeschlossen. Lassen sich dann Liebe oder auch nur Freund- und Gemeinschaft überhaupt noch denken?

Die Idee, einige meiner Objekte als Subjekte anzuerkennen, ist offensichtlich unsinnig, weil die Subjekte als – Teil der – Wirklichkeit

– weder von meinem Wohlwollen abhängig sein

– noch sich in meinem Bewußtsein befinden können.“ 

Bei diesem Problem kann ich Ihnen wohl ein wenig helfen.

 

Fairness, die Goldene Regel oder das „Wie du mir, so ich dir“ werden häufig als ethische Prinzipien dargestellt. Ich halte das aus zwei Gründen für völlig falsch.

Zum einen gehen Geschäftsleute oder womöglich sogar Gangster so miteinander um und bewegen sich damit ausschließlich innerhalb eines im weiteren Sinne ökonomischen Rahmens. Es ist nicht moralisch, sondern clever, dem anderen das, was wir von ihm nicht möchten, auch selbst nicht anzutun; vielleicht treffen wir uns ja noch einmal.

Zum anderen – und allein das ist entscheidend – kann eine Ethik nicht symmetrisch sein, weil sie an die Subjekte als Träger der Freiheit gebunden ist und ich das einzige Subjekt in meinem Leben bin. Insbesondere Emmanuel Levinas wies immer wieder darauf hin, daß die Ethik einseitig ist, weil sie allein von mir ausgehen muß; „Ich bin der Hüter meines Bruders“ oder „Geisel für den Anderen“.

Was er – der Bruder oder Andere – tut, kann mir gewaltige Schwierigkeiten bereiten, sehr wehtun und Orientierungs-Möglichkeiten rauben. Aber das sind seine Entscheidungen, und weder kann ich sie dirigieren noch bin ich dafür verantwortlich.

 

Die Ethik besteht in meinem Umgang mit den Objekten – nicht in ihrer Anerkennung als Subjekte.

Mir sind nur Objekte gegeben, und dabei bleibt es auch; ich bestimme lediglich darüber, um welche Objekte es sich handelt und welcher Umgang mit ihnen sich daraus ergibt. Köter können zu Hunden, Unkräuter zu Heilpflanzen, Dinge zu Symbolen, Barbaren zu Menschen oder Feinde zu Gesprächspartnern werden.

Aber das sind keine bloßen Umbenennungen zum Nulltarif, sondern hat zur Folge, daß sich mein Freiheits-Spielraum auf der Orienierungs-Ebene verringert.

Es ist unmoralisch, ihn auf Teufel komm raus zu maximieren.

Aber es ist ebenso unmoralisch, unseren Freiheitsspielraum ohne vernünftige Gründe zu verkleinern.