2.6. Philosophisches und alltägliches „Abbilden“

AD: „Ich fürchte, die meisten Menschen lehnen Ihre Überlegungen ab, wei sie – vielleicht recht stringent, aber dadurch auch – sehr kompliziert sind und wir mit dem traditionellen Abbilden ein herrlich einfaches Erklärungsmodell besitzen, so daß sich die notwendige Anstrengung nicht zu lohnen scheint. Das Abbilden ist etwas Alltägliches; denken wir nur an das Photographieren, Malen und Beschreiben, an Landkarten, technische Zeichnungen oder Veranschaulichungen.“

Das stimmt; aber wer do denkt, übersieht, daß wir es hier mit zwei völlig verschiedenen Formen des „Abbildens“ zu tun haben. Das philosophische Abbilden(P), um das es uns geht, hat mit dem von Ihnen gemeinten alltäglichen Abbilden(A) nahezu gar nichts gemein.

 

Wir stehen – traditionell gedacht – vor dem objektiv-realen Eiffelturm, bilden ihn in unserer Psyche ab und schießen ein Erinnerungsphoto, so daß sich zwei verschiedene Arten von „Abbildern“ ergeben.

Die Anführungsstriche soeben sind wichtig, denn es wäre mehr als verwegen, hierbei Abbilder als gemeinssamen Oberbegriff zu benutzen: 

 

Natürlich ist ein Photo vom Eiffelturm nicht der Eiffelturm, sondern lediglich ein Abbild(A) von ihm. Aber das Photo, das wir in der Hand halten oder auf dem Handy sehen, ist traditionell ebenso real, wie der Eiffelturm selbst. Wenn er ein Urbild sein soll, muß dies für sein Photo also ebenfalls gelten.

In Paris befinden sich folglich an der frischen Luft zwei Urbilder – der Eiffelturm sowie sein Photo – und in unserer Psyche die beiden zugehörigen Abbilder(P).

Wir könnten noch ein Photo vom Photo vom Photo vom . . . machen, aber an deren Abbilder(P) kommen wir natürlich nicht heran.

 

 

Seiende oder Urbilder Eiffelturm Photo vom Eiffelturm Photo vom Photo vom . . .
  ——— Abbilden(A) ——
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  Abbilden(P) Abbilden(P) Abbilden(P)
 
Abbilder(P) vom . . .
Eiffelturm Photo vom Eiffelturm Photo vom Photo vom . . .
in der eigenen Psyche
     

Abbildung 2.6.-1

 

Beim Abbilden(A) sind uns sowohl Ur- als auch Abbild(A) gegeben; beim Photographieren können wir beispielsweise die aufgenommene Landschaft unmittelbar mit dem Bild davon vergleichen, und wir sehen – lax ausgedrückt – doppelt; das Original und sein Photo. Dem Künstler steht ein Mensch gegenüber, von dem er ein Porträt malt; wir orientieren uns in der Natur mittels einer Wanderkarte usw.

 

Mit Ur- bzw. Abbild(P) im traditionell-philosophischen Sinne haben diese Beispiele nicht viel zu tun, denn beim Abbilden(P) ist uns immer nur ein Exemplar gegeben.

Die Tradition behauptet, letzteres sei das Abbild(P); das zugehörige Urbild wird von ihr lediglich als notwendig erschlossen.

Wir halten diesen Schluß für einen Zirkel und glauben die Urbilder nicht, so daß ihre „Abbilder(P)“ nun auch keine Abbilder(P) mehr sind, sondern ganz simpel unsere Wahrnehmungen, wodurch sich die Darstellung von soeben massiv vereinfacht.

 

 

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  ——— Abbilden(A) ——
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Wahrnehmungen
Eiffelturm Photo vom Eiffelturm Photo vom Photo vom . . .
in der eigenen Psyche
      

Abbildung 2.6.-2

 

AD: „Wir sehen nicht doppelt; einverstanden. Das Urbild Mond ist natürlich unsichtbar, weil es sich außerhalb der Psyche befindet; aber unsere Vernunft verlangt seine Existenz:

Wir könnten keinen Mond sehen, wenn er sich nicht dort befände.“

Ihr letzter Satz ist zumindest zweideutig.

Er könnte eine Tautologie darstellen: Gäbe es dort nicht den Mond als Sehung, würden wir auch keinen sehen; dem vermag niemand zu widersprechen.

Aber zur Verteidigung der Tradition müßten wir Ihren Satz so verstehen, daß zwei Monde zu unterscheiden sind: 

Die Mond-Sehung X in unserer Psyche wäre unmöglich, wenn sich der Ur-Mond Y nicht dort im Weltraum befände.

Ich fürchte, wir haben tatsächlich nur die Wahl zwischen Tautologie und Zirkelschluß.