Dort steht ein Herd; er befindet sich inmitten des Raumes, ist aus Eisen und heiß, so daß er sich unmöglich in unserer Psyche befinden kann. Das ist traditionell der wirkliche Herd als Urbild oder Seiendes. Nur ein Abbild(P) davon gehört unserer Psyche an und repräsentiert für uns den wirklichen Herd.
Wir laufen unachtsam durch die Küche und stoßen oder verbrennen uns an ihm. Woran genau; am Ur- oder Abbild(P) des Herdes?
Letzteres scheidet sofort aus, weil wir uns an – dem „Inhalt“ – der Psyche weder stoßen noch verbrennen können.
Bleibt nur das Urbild des Herdes, an dem sich – nicht unsere Psyche, sondern – unser Körper stößt und verbrennt.
Aber auch das ist wieder zweideutig; stößt sich das Ur- oder das Abbild(P) unseres Körpers am Urbild des Herdes?
Da sich auch das Abbild(P) des eigenen Körpers nur in unserer Psyche befinden kann, ergibt sich zwingend:
Das Urbild unseres Körpers stößt und verbrennt sich am Urbild des Herdes.
Die beiden zugehörigen Abbilder(P) werden also gar nicht benötigt.
Wir trinken auch kein Abbild(P) des Bieres, riechen kein Abbild(P) des Parfüms, fahren kein Abbild(P) des Autos und bauen kein Abbild(P) des Hauses. Das ist auf der einen Seite alles so selbstverständlich, daß ich mir fast nicht getraue, es hier aufzuzählen.
Und trotzdem beschleicht mich auf der anderen Seite das Gefühl, es tun zu müssen, weil wir (fast) alle überzeugt sind, Abbilder(P) der Seienden in unserer Psyche zu haben.
Wir kommen dem Grund dieses Widerspruchs näher, wenn wir die Bezeichnungen „Ur-“ bzw. „Abbilder“ wörtlich nehmen: Es sind Bilder, und die gibt es nur beim Sehen.
Damit ist unser Problem noch nicht gelöst, aber es wird zunächst einmal nachvollziehbar, daß das Sehen auf der einen Seite ganz allein dem Stoßen, Verbrennen, Trinken, Riechen, Fahren, Bauen usw. auf der anderen Seite gegenübersteht:
Die Unterscheidung zwischen Ur- und Abbildern(P)
– scheint zwar für das Sehen erforderlich zu sein,
– ist aber bei allen anderen Tätigkeiten nicht nur unnötig, sondern sogar irritierend.
Nun müßten wir lediglich noch klären, weshalb es sich so verhält.
Kommen wir dazu auf unseren Herd zurück; wir sehen ihn sowohl traditionell als auch postmodern wirklich dort, und es liegt mir fern, dies zu bestreiten. Ich verstehe diese Sehung lediglich anders als die Tradition:
Sie
– macht den Herd zu einem Seienden,
– das im Sehen abgebildet wird,
– wozu die Psyche erforderlich ist.
Wir
– betrachten den Herd als eine Sehung,
– die sich im Raum befindet,
– weil das Sehen den Raum erzeugt.
Ich wäre überrascht, würde die letzte Zeile Sie nicht arg verwundern; sie ist jedoch ganz ernst gemeint. Deutlich wurde mir diese Erkenntnis erstmals durch einen Artikel von Heinrich Rombach; er schrieb dort unter anderem:
„Wir sehen nicht den Baum dort, sondern
wir sehen dort“ – alles; zum Beispiel auch diesen Baum.
Das Dort-Sein ist
– nicht die Eigenschaft des Baumes, sich im Raum zu befinden, sondern
– die Eigenschaft des Sehens, den Raum mit seinen räumlichen Inhalten hervorzubringen.
Alles, was wir sehen, gehört dadurch, daß wir es sehen – aber auch nur dadurch – dem Raum an.
Die ideellen Seienden sind nur unterschieden, aber nicht getrennt; die materiellen Seienden werden durch den Raum voneinander separiert, weil er – nicht als Behälter, sondern – als Zwischen-Raum fungiert, und es ist das Sehen, das ihn hervorbringt.
Natürlich erscheint uns der letzte Teilsatz als absurd; aber nur, solange wir das Sehen mit dem traditionellen identifizieren. Das erzeugt absolut nichts und insbesondere keinen Raum; es kann bestenfalls völlig Fertiges – wie Seiende – abbilden.
Interessanterweise geht dieser Gedanke zumindest bis auf Aristoteles zurück. Bereits er sah den Raum lediglich als Zwischen-Raum; natürlich nicht postmodern zwischen Sehungen, aber immerhin traditionell zwischen Seienden.
Des weiteren wird diese Idee auch von der Urknalltheorie aufgegriffen. Ihr zufolge expandiert der physikalische Kosmos – nicht innerhalb des Raumes, sondern – in das Nichts hinein und erzeugt dadurch erst den Zwischen-Raum der Galaxien.
AD: „Das ist natürlich ein ganz starkes Argument für Ihren Ansatz:
Wenn der Raum erst durch das Sehen entsteht, kann es vor dem Sehen keine Körper gegeben haben. Das führt die gesamte traditionelle Evolutionstheorie ad absurdum, derzufolge sich erst einmal anorganische und pflanzliche Körper entwickelt haben sollen.
Bei Ihnen besteht die Wirklichkeit dagegen im Leben; dessen Genese führt irgendwann zum Sehen – und damit zu Körpern.
Gewiß gibt es diese – rudimentär – auch durch das Tasten, Greifen oder ähnliches, aber eben niemals ohne das Leben.“
Ja; und so ist es wohl auch kein Zufall, daß Kant den Raum speziell als Anschauungs– und nicht allgemein als Wahrnehmungsform verstanden hat. Dem Sehen kommt unter all unseren Wahrnehmungen sowohl traditionell als auch postmodern eine Sonderrolle zu:
Traditionell leben die Subjekte als Körper im Raum und benötigen für das Sehen – aber eben auch nur für das Sehen – den Nicht-Raum der Psyche, um ihre Abbilder(P) darin unterzubringen.
Postmodern wird der Raum nicht für das Leben benötigt, sondern durch das Sehen – als einer Facette des Lebens – erst erzeugt.