2.1.1. Hohlwelttheorie

Die meisten unserer Zeitgenossen gehen davon aus. daß Galilei den Streit mit der Kirche über die Bewegung von Erde und Sonne für sich entschieden hätte. Das stimmt nicht; im Nachhinein können wir sehen, daß dem Ganzen ein Irrtum zugrunde lag:   

Beide Seiten glaubten, über Seiende und deren wirkliche Bewegungen in einem absoluten Raum zu sprechen. Daß wir uns etwas phantastisch vorstellen können, ist absolut kein Argument für seine Existenz

 

Wir wissen zumindest seit der Speziellen Relativitätstheorie, daß weder die damals strittigen Bewegungen noch der sie ermöglichende Raum – der Äther – existieren; beide wurden fälschlicherweise als Seiende gedacht. Beobachten läßt sich jedoch nur die Relativbewegung zwischen Erde und Sonne, so daß auch nur sie als Gegenstand eines sinnvollen Diskurses dienen kann.

Wollen wir diese Relativbewegung wiedergeben, muß unsere Beschreibung notwendigerweise von irgendeinem als fest angenommenen Punkt aus erfolgen. Galilei wählte – aus heutiger Sicht – als Fixpunkt die Sonne, die Kirche fand die Erde besser, und Newton hätte sich wahrscheinlich für den gemeinsamen Schwerpunkt der beiden Himmelskörper entschieden. Mehr steckt nicht dahinter; alle drei Beschreibungsweisen und viele andere sind heute (noch) möglich, welche von ihnen wir bevorzugen, hängt allein von unseren Zielen und Vorlieben ab. 

Die damaligen Auseinandersetzungen wurden jedoch erbittert geführt, weil beide Parteiungen dies noch nicht (ein)sehen konnten und fälschlicherweise annahmen, von der Wirklichkeit selbst zu sprechen, so daß es um die Wahrheit – der Bibel bzw. Naturwissenschaft – geht.

 

Im Galilei-Prozeß besitzt die Beschreibung keinerlei Einfluß auf das Beschriebene; die Relativbewegung von Erde und Sonne. Ihre Darstellung kann also höchstens elegant, denkökonomisch, einsichtig oder ähnliches sein.

Das bedeutet, daß das Beschriebene auch ohne seine Beschreibung existiert oder wir die beiden völlig voneinander trennen können.

Das muß nicht so sein; viele Beschreibungen bringen das Beschriebene erst hervor oder erzeugen es, so daß wir besser von Generieren als von Beschreiben sprechen sollten, um die Einheit der „beiden Seiten“ anzudeuten.

 

Ein sehr schönes Beispiel für eine solche Genese bildet die Hohlwelttheorie.

Unter dieser Überschrift treiben auch viele Sektierer ihr Unwesen und wird ziemlicher Blödsinn publiziert. Für eine seriöse Darstellung würde ich Ihnen Roman Sexl empfehlen; er war bis zu seinem Tod Professor für Theoretische Physik an der Universität seiner Heimatstadt Wien.

Den Kerngedanke der Hohlwelttheorie bildet die Inversion oder Spiegelung an der Kugel. Hierbei geht es darum, daß jedem Punkt aus ihrem Inneren eineindeutig ein Partner aus dem Äußeren der Kugel zugeordnet wird (und umgekehrt). Daß geschieht auf folgende Weise:

 

1. Wir zeichnen einen Strahl aus dem Mittelpunkt der Kugel heraus bis ins Unendliche.

2. Die beiden Punkte eines Paares liegen jeweils auf dem gleichen Strahl. 

3. Ihre Abstände vom Mittelpunkt sind r(i) bzw. r(a), und der Kugelradius ist R.

4. Mittels der Formel r(i) • r(a) = R² können Kugelinneres und -äußeres vertauscht werden.

 

Nun wird auch der Name „Hohlwelttheorie“ verständlich:

Identifizieren wir unsere mathematische Kugel mit der Erde, so geht deren Oberfläche in sich selbst über; wenn r(i) = R ist, muß auch r(a) = R gelten. Wir stehen also mit den Füßen wie gewohnt auf der Erdoberfläche, aber unser Kopf zeigt Richtung Erdmittelpunkt. Über uns oder weiter bei ihm befinden sich die Wolken, Flugzeuge sowie Sterne und der Dreck, die Lava oder das Grundwasser unter unseren Füßen sind nun im Äußeren der Kugel lokalisiert.

Im Internet werden sehr viele, auch interaktive Verstehenshilfen angeboten; mit meiner Software kann ich Ihnen leider keine anschaulichen Bilder zeichnen. Sie können sich also im Netz selbst überzeugen – oder mir glauben: 

Die Spiegelung an der Kugel gehört zu den konformen mathematischen Abbildungen, die sehr schöne, einfache Eigenschaften besitzen. Zum Beispiel ändern sich die Winkel beim Transformieren nicht und wird eine Gerade im Außen zum Kreis im Innen; die Tangente etwa zu einem Kreis mit dem Radius ½R.

 

Für uns ist jedoch nur ein einziger Punkt wichtig:    

Wir glauben außen zu leben; gestalten Experimente und führen Messungen durch.

Hohlwelttheoretiker glauben innen zu leben; gestalten Experimente und führen Messungen durch.

Die beiden Ergebnisreihen stimmen 100%-ig überein, so daß keinerlei Möglichkeit besteht, sich begründet für eine der beien Seiten und damit gegen die jeweils andere zu entscheiden.

Funktioniert die eine Beschreibungsweise, dann tut dies auch die andere.

Funktioniert die eine Beschreibungsweise nicht, dann tut dies auch die andere nicht.

 

Damit haben wir unser Ziel erreicht:

– Führt die eine Darstellung dazu, daß wir überzeugt sind, auf einer Dreckkugel zu leben,

– während uns bei der anderen ebenso klar ist, in einer Hohlkugel zu leben, dann

  — muß unser Glaube das Resultat der jeweiligen Beschreibung sein, so daß

  — wir ohne diese weder auf einer Dreck- noch in einer Hohlkugel leben würden.

 

Mit anderen Worten:

Wer behauptet, wir würden uns gemeinsam mit den Wolken, Flugzeugen und Sternen über uns in einer Hohlkugel befinden, hat natürlich Unrecht.

Ebenso wie derjenige, der behauptet, wir würden uns gemeinsam mit den Wolken, Flugzeugen und Sternen über uns im Raum außerhalb einer Dreckkugel befinden. 

Man kann die Welt so und so beschreiben; tut dies keiner, ist sie auch weder so noch so.

 

AD: „Dann waren Sie oben ein bißchen voreilig:

Bei der Hohlwelttheorie wird einsichtig, daß das ‚Beschreiben‘ kein bloßes Beschreiben sein kann, sondern ein Generieren ist.

Sie können nicht nachweisen, daß es sich beim Galilei-Prozeß ebenso verhält – dürfen es aber auch nicht ausschließen. Es wäre also theoretisch denkbar, daß sämtliche ‚Beschreibungen‘ in Wirklichkeit Generierungen sind.“

 

Das war richtig, und ich bin sogar überzeugt, daß es sich tatsächlich so verhält.

Das paßt zudem ausgezeichnet zu der heute weitgehendst anerkannten Konsequenz der Quantentheorie, daß die angeblichen Meßprozesse nicht(s) bereits Vorhandenes messen, sondern ihr Resultat selbst erst hervorbringen. Ein Elektron beispielsweise besitzt keinen Ort, wenn er nicht gerade „gemessen“, das heißt, erzeugt wurde.

 

Wenn Sie in diesem Abschnitt mitgehen konnten, dürfte Ihnen unser Entwurf bereits etwas durchsichtiger geworden sein:

1. Das Beschreiben und „Messen“ gehört zum Leben.

2. Wie ich es tue, hängt von meinem Weltbild ab.

3. Die Resultate des Beschreibens bzw. „Messens“ bestehen in den Wahrnehmungen.

4. Ohne mein Leben – ohne mein Beschreiben und „Messen“ – gäbe es letztere nicht, . . .

5. . . . denn wir nehmen nicht etwas wahr, was auch ohne unser Tun vorhanden ist. 

6. Seiende sind damit als Referenten unserer Wahrnehmungen unnötig.

7. Da sie keine andere Funktion besitzen, können wir die Referenten streichen. 

8. Damit ändert sich für Sie absolut nichts – nur das traditionelle Glaubensbekenntnis dürfen Sie aufgeben.