Stellen wir uns vor, Sie frühstücken im Garten und sehen, wie der böse Hund des Nachbarn Ihre liebe Katze jagt.
H → K
Im Sinne der Tradition mit ihrem Glauben an Seiende ist unsere Symbolik falsch.
Wir Menschen verfügen über ganz bestimmte, artspezifische Sinnesorgane und nur mit ihnen können wir wahrnehmen. Im Vergleich zu Fledermäusen, Bienen oder Maulwürfen wird sehr deutlich, daß all unsere Wahrnehmungen den Stempel „menschlich“ tragen. Wir sehen also niemals neutrale Abbilder der Urbilder, sondern immer nur „menschlich“ verfremdete und hätten deshalb besser so formulieren sollen:
H(M) → K(M)
AD: „Das ist irre! Wir identifizieren die menschliche Wahrnehmung H(M) eines Hundes mit dem Hund H und erklären damit jene zu einem Seienden. Warum eigentlich gerade die menschliche Wahrnehmung? Ein geistiges Tohuwabohu!“
Ja; wir sehen uns im Spiegel und sagen von dieser Wahrnehmung: „Das bin ich.“ So als wären wir Spiegelbilder!
Die rechte Seite ist immer noch falsch, denn unsere Hundewahrnehmung H(M) rennt nicht unserer, sondern ihrer Katzenwahrnehmung nach, das heißt, demjenigen, was der Hund dort sieht, wo sich unsere Katzenwahrnehmung befindet.
H(M) → [K(M)](H)
Rechts geht es nicht weiter; Hundewahrnehmungen sind uns nicht zugänglich.
Und die linke Seite ist unverständlich:
Dort steht, wie das Seiende Mensch das Seiende Hund wahrnimmt. Das sehen wir; aber wir wissen keineswegs, was das Seiende Mensch ist, denn das kennen wir doch auch immer nur mit dem Abbild-Stempel „menschlich“ und niemals als neutrales Ur- oder Abbild. Wir müßten also überall M durch M(M) ersetzen – und werden damit nie fertig:
M → M(M) → [M(M)](M) → {[M(M)](M)}(M) → . . .
Wie kann es zu diesem Chaos kommen?
Wir haben nur drei traditionelle Voraussetzungen ernstgenommen:
1. Es gibt Seiende.
2. Wir erkennen sie in unseren Wahrnehmungen.
3. Diese bilden nicht neutral ab, sondern sind artspezifisch.
Ich vermag beim besten Willen nicht zu sehen, welche dieser drei Prämissen aufgegeben werden könnte,
– um das angedeutete Chaos zu vermeiden und
– trotzdem noch innerhalb des traditionellen Denkmodells zu verbleiben.
AD: „Ich verstehe Ihr Problem, kann aber nicht sehen, wie sie es lösen wollen.“
Wir versuchen es und unterscheiden dazu – mit der Tradition – streng zwischen Subjekten und Objekten. Letztere können die verschiedensten Formen annehmen; innerhalb der objektiven Realität gibt es unter anderem Flüssigkeiten, Blitze, Schallwellen und Körper. Bei unserem gegenwärtigen Thema sind nur letztere von Interesse, so daß ich mich, ohne Mißverständnisse befürchten zu müssen, auf die Körper beschränken kann.
Könnten wir uns jetzt etwa in einer Videokonferenz sehen, hätten Sie eine Wahrnehmung – von mir, von meinem Körper oder wovon eigentlich?
Die traditionelle Antwort ist einfach:
Als Subjekt falle ich mit meinem Körper zusammen, der von den meisten Denkern durch ein bestimmtes Innen ergänzt wird. Da dieses jedoch unsichtbar ist, haben Sie eine Wahrnehmung
– von meinem Körper als einem Seienden und damit
– von mir Subjekt als einem Seienden.
OBJEKTIVE REALITÄT | |||
Seiende | |||
∋ |
|||
Wahrgenommene | |||
Urbilder | |||
PSYCHE | |||
—————— | |||
Wahrnehmungen | |||
Abbilder | |||
jetzt |
Abbildung 2.1.3.-1
Postmodern haben Sie natürlich exakt die gleiche Wahrnehmung; wir verstehen sie nur anders.
Ohne Seinde kann Ihre Wahrnehmung auf der einen Seite weder eine von mir noch von meinem Körper sein.
Auf der anderen Seite läßt sich schwerlich bestreiten, daß Ihre Wahrnehmung eng mit meinem Körper zusammenhängen muß.
Dieser „Widerspruch“ läßt sich leicht auflösen:
Ihre Wahrnehmung
– ist keine von meinem Körper, sondern
– besteht in der Aktualität oder im Jetzt meines Körpers.
Mein Körper ist ein Aktant; ich kann – den Glauben an – seine Existenz nicht ernstlich bestreiten.
Ihre Wahrnehmung bildet ihn nicht ab, sondern ist mein Körper, freilich mit dem Stempel „menschlich“; bei unserer Katze verhält es sich ebenso, aber natürlich „kätzisch“.
AD: „Diese Thematik hatten wir schon mehrfach berührt:
Seiende
– sind objektiv oder an sich als S vorhanden und
– werden artspezifisch zum Beispiel von uns Menschen als S(M) wahrgenommen.
Sie hatten das im Kapitel 1.1. recht anschaulich als Zentralgestirn bzw. Perspektiven beschrieben.“
Das rot Hervorgehobene ist (im allgemeinen) wieder stabil und reicht damit über das Jetzt der Wahrnehmungen hinaus.
AUßERHALB DER PSYCHE | ||||
subjektive Wirklichkeit | ||||
Aktanten | ||||
PSYCHE | ||||
Wahrnehmungen | ||||
artspezifischer Jetzt-Zustand der Aktanten | ||||
jetzt | ||||
Abbildung 2.1.3.-2
Kommen wir nochmals auf unsere drei Prämissen von soeben zurück; was haben wir mit ihnen gemacht?
1. Es gibt Seiende.
Nein!
2. Wir erkennen sie in unseren Wahrnehmungen.
Nein; das versteht sich von selbst, da keine Seienden (mehr) existieren. Aber ganz unabhängig davon erkennen wir auch nichts anderes, weil die Wahrnehmungen kein Wovon besitzen, sondern selbst der artspezifische Jetzt-Zustand der Aktanten sind.
3. Die Wahrnehmungen bilden nicht neutral ab, sondern sind artspezifisch.
Letzteres hatte ich soeben konkretisiert und wollte dabei auch nochmals verdeutlichen, daß die Wahrnehmungen überhaupt nicht als Abbildungen oder Verdopplungen verstanden werden können.
Nach so vielen Korrekturen sollten wir der Deutlichkeit halber nicht mehr von uns als Subjekten sprechen. Um mich sauberer ausdrücken zu können, verstehe ich uns im weiteren als Subjektivitäten und kann zusammenfassen:
Ich bin eine Subjektivität und weiß von mir nur, daß dies hier mein Körper sein muß.
Er ist ein Aktant, und das bedeutet insbesondere, daß mein Körper nur in Form artspezifischer Wahrnehmungen im jeweiligen Jetzt wirklich wird.
Ich als Subjektivität kann aber unmöglich artspezifisch und folglich auch nicht mein Körper sein; das wußten wir jedoch bereits; ich habe ihn nur.
AD: „Ich konnte Ihnen ganz gut folgen, habe aber trotzdem ein Problem:
Daß die Wahrnehmungen keine Referenten besitzen und folglich mein Körper nicht die Wahrnehmung von mir als Subjektivität sein kann, begründen Sie damit, daß es postmodern keine Seienden (mehr) gibt. Ihre Argumentation ist möglicherweise sehr stringent – das überschaue ich nicht –, mit Sicherheit abe etwas abstrakt. Könnten Sie uns das vielleicht noch einmal anschaulicher erklären?“
Ja; das kann ich.
Wir alle sagen mit völliger Gewißheit, daß dies hier mein Körper ist. Anschaulich gesprochen bedeutet das: Es reicht ein Pfeil von mir als Subjektivität zu meinem Körper. Aber er ist nicht umkehrbar; es gibt keinen Pfeil, der von meinem Körper zu mir als Subjektivität führt. Wohin sollte er auch zeigen, wenn sie sich nicht im Raum befindet?
Die Frage, hinter welchen weiteren Körpern eine Subjektivität steht, dürfte also falsch gestellt sein oder ein Scheinproblem darstellen; die entsprechenden Pfeile fehlen. Auch bei mir, denn mein Körper steht zwar vor mir, aber ich stehe trotzdem nicht hinter ihm.
Wenn Studenten mir sagen, Föten, Bernhardiner oder alte Bäume hätten eine Seele und wir solten uns ihnen gegenüber entsprechend verhalten, habe ich damit keinerlei Probleme; ganz im Gegenteil. Das entspricht jedoch einem moralischen Appell und gehört nicht in einen philosophischen Diskurs. In seinem Sinne müßte ich rückfragen,
– woher sie das wissen und
– was sie unter einer Seele verstehen.
AD: „Ich wollte Sie nicht unterbrechen, glaube aber, daß auch der umgekehrte Pfeil existiert. Wird mein Körper gezwickt, tut es – weder ihm noch einer anderen Subjektivität, sondern – mir weh.“
Das bestreite ich nicht; Ihrer Formulierung zufolge müssen Sie den richtigen Körper aber schon vor dem Zwicken kennen. Wir sollten also besser sagen:
Derjenige Körper, dessen Gezwickt-Werden mich schmerzt, ist der meinige; das führt auf unseren ursprünglichen Pfeil zurück.