2.4.2. Das Gesamtkonzept der Seienden ist widersprüchlich

Die traditionellen Seienden entsprechen den Elementen einer (mathematischen) Menge; sie sind getrennt, unabhängig oder isoliert voneinander und könnten folglich alle einzeln aufgezählt werden. Daß wir dabei niemals fertig würden, ist natürlich richtig, für unsere Überlegungen aber nicht von Belang.

Zu diesen Seienden gehören auch wir Subjekte.

Die Trennung entspricht einer 100%-igen Isolation; sie läßt sich am besten veranschaulichen, indem wir uns als blind und taub vorstellen; dann kommt kein einziges anderes Seiendes vor.

 

Wir können, mit anderen Worten, sinnvoll über die Elemente einer Menge sprechen, sofern wir ihr nicht angehören, sondern sie von außen sehen.

Sind wir jedoch selbst eines dieser Elemente, so werden wir zum Solipsisten, denn die Frage, ob noch andere Seiende existieren, ist ebenso unentscheidbar wie belanglos:

Wir sind ganz allein, denn zwischen unserer Trennung und der Inexistenz der anderen Seienden besteht kein Unterschied.

 

Die Tradition verwickelt sich also in einen Widerspruch, weil sie davon ausgehen muß, daß wir Subjekte

– sowohl den Seienden angehören

– als auch sie von außen sehen können.

Das ist natürlich unmöglich; wir egreifen auch nicht Partei für eine der beiden Seiten, sondern lehnen das Gesamtkonzept der Seienden ab.

 

AD: „Hier bin ich; dort ist die Sonne; hübsch getrennt voneinander – und trotzdem sehe ich sie.“

Ihr räumlicher Abstand hat nichts mit einer Trennung zu tun; daß Sie die Sonne sehen, ist nur möglich, weil eine Wechselwirkung und damit eben keine Trennung besteht. 

 

AD: „Wechselwirkung und Trennung widersprechen sich doch nicht:

Erde und Sonne sind Seiende, obwohl sie durch die Gravitationskraft aufeinander wirken.“

Nein; wenn ersteres stimmt, tun sie letzteres nicht!

 

Die Tradition geht diesbezüglich notwendigerweise von drei sauber getrennten Seienden aus; Erde, Sonne sowie Gravitationskraft.

Würde letztere tatsächlich wirken und die „Erde“ mit der „Sonne“ verbinden, hätte dies nämlich zwei Konsequenzen, die das gesamte traditionelle Konzept ins Wanken brächten:

Zum einen wäre die Gravitationskraft als Verbindung von „Erde“ und „Sonne“ kein Seiendes, sondern eine Relation, die nicht in die objektive Realität paßt.

Zum anderen gäbe es nicht Erde, Sonne und Gravitation, sondern nur deren Einheit. Wo soll das eine beginnen und das andere enden? Denken Sie zum Verdeutlichen beispielsweise an Siamesische Zwillinge.

Wenn eine Wechselwirkung tatsächlich „zwei Seiende verbindet“, dann haben wir nicht mehr zwei oder drei Seiende, sondern nur noch ein einziges Seiendes.

 

Krass formuliert bedeutet dies, daß – wenn wir die Idee der Seienden ernstnehmen – immer nur ein einziges Exemplar von ihnen existieren kann:

„Wechselwirkende Seiende“ sind ein Seiendes.

Wechselwirkungsfreie Seiende sind alle allein.