2.4.6. Urbilder und Abbilder – im logischen Zirkel

Die Tradition erfindet einen unsichtbaren Ur-Mond Y im Außerhalb der Psyche, um Ihre Mond-Sehung X innerhalb von ihr erklären zu können. Ich bezweifle jedoch sehr stark, daß es sich hierbei um eine Erklärung, das heißt, um etwas Akzeptables handelt:

1. Gegeben ist die Mond-Sehung X.

2. Deren Zustandekommen möchten Sie verstehen.

3. Dazu erfinden Sie einen unsichtbaren Ur-Mond Y.

4. Der einzige Hiinweis auf ihn, besteht in unserer Mond-Sehung X.

5. Sie interpretieren letztere als Abbild des erfundenen Ur-Monds Y.

 

Damit

– leiten Sie aus der Mond-Sehung X den Ur-Mond Y – als eine mögliche Erklärung – ab und

– schließen zugleich aus der Existenz der Mond-Sehung X auf die Richtigkeit dieser Erklärung.

 

Kann ein logischer Zirkel perfekter sein?

Sie erklären die Mond-Sehung X mittels des Ur-Monds Y, von dem Sie nur durch die Mond-Sehung X wissen:

Von den Urbildern wissen wir allein durch ihre Abbilder.

Die Urbilder machen uns die Abbilder verständlich.

→   Es gibt Urbilder.

 

Diese „Logik“ kannten schon die alten Germanen:

Von Donar wissen wir allein durch den Donner.

Donar macht uns den Donner verständlich.

→   Es gibt Donar.

 

Rein logisch besteht zwischen diesen beiden Zirkelschlüssen auch nicht der geringste Unterschied:

Das Wissen, das sich aus den Abbildern ergibt, macht uns die Abbilder verständlich.

Das Wissen, das sich aus dem Donner ergibt, macht uns den Donner verständlich.

Nicht nur Donar, sondern auch die Urbilder sind meiner tiefsten Überzeugung zufolge pure Erfindungen, mit denen wir uns selbst belügen, solange wir glauben, etwas erklärt zu haben.

Es handelt sich bei diesen zwei Beispielen um einen (relativ weit verbreiteten) logischen Fehlschluß, den wir rein formal folgendermaßen darstellen können:

 

Prämisse 1 p → q Regnet es, wird die Straße naß. Das Urbild erklärt das Abbild.
Pränisse 2 q Die Straße ist naß. Das Abbild liegt vor.
falsche Konklusion → p Also hat es geregnet. Also existiert das Urbild.

Die erste Schlußfolgerung – „Also hat es geregnet“ – ist offensichtlich nicht zwingend, weil zum Beispiel auch Schnee geschmolzen, ein Wasserrohr geplatzt oder der Sprengwagen gefahren sein könnte. Die Prämisse lautete nicht „Wenn es regnet, aber auch  nur dann, wird die Straße naß“.  

Da die Logik nicht vom Inhalt abhängt, kann die zweite Konklusion – „Also existiert das Urbild“ – ebenfalls nicht zwingend sein. Natürlich wäre das eine mögliche Lösung dieses traditionellen Problems; aber daß wir uns gegenwärtig gar keine andere vorstellen können, beweist nicht ihre Richtigkeit, sondern unsere mangelnde Phantasie (oder Denkfaulheit).

Sowohl Donar als auch die Urbilder stellen Versuche dar, etwas zu erklären; sie mögen vielleicht ihre Zeit und ihr Recht gehabt haben; das muß uns nicht interessieren. Aber wenn wir ihre Schwachstellen kennen und die traditionellen Schlüsse nicht mehr intellektuell redlich nachvollziehen können, müssen wir nach etwas Konsistenterem Ausschau halten

 

AD: „Also hatte Feuerbach mit seinen Projektionen doch Recht?“

Natürlich; man kann zwar alles Widerspruchsfreie aus der Psyche in ihr Außen projizieren, aber nichts von dort in ihr Innen abbilden; die „Abbilder“ müssen also Projektionen sein.  

 

Da es Feuerbach jedoch im wesentlichen um seine Religionskritik ging, war er allein auf Gott fixiert, obwohl seine logisch saubere Argumentation auch nicht das Geringste speziell mit Gott zu tun hat und sich damit wortwörtlich auf sämtliche Seienden überträgt.

Wieso soll die Materie keine Projektion sein, wenn Gott eine sein muß?

Wer davon ausgeht, Gott zu wissen, glaubt lediglich seine diesbezüglichen Projektionen.

Wer davon ausgeht, die Materie zu wissen, glaubt lediglich seine diesbezüglichen Projektionen.

 

Feuerbach wollte mit seinen Überlegungen plausibel machen, wie die Traditionell-Gläubigen auf einen Gott kommen, der zwar als „transzendent“ bezeichnet, aber völlig immanent gedacht wird. Diese naiv-realistische Position in Bezug auf Gott nennt man „Theismus“; sie entspricht „einem Gott, den es gibt“, und von dem Dietrich Bonhoeffer sagte, daß „es ihn nicht gibt“; er wäre lediglich ein Gott nach unserem Bilde.

Mir geht es, anders als Feuerbach, nicht um eine Kritik der Religion, sondern um eine solche des traditionell-philosophischen Aberglaubens, und deswegen wende ich mich zwangsläufig auch gegen den Theismus.

Überzeugte Christen können nicht nur „a-theistisch glauben“ (Hartmut von Sass), sondern müßten es sogar, um intellektuell redlich zu sein und nicht schon von Feuerbach mit Recht belächelt zu werden.