2.7. Zusammenfassung

In einem Lehrbuch werden die wichtigsten Punkte zusammenfassend wiederholt, damit die Studierenden sich das neue Wissen gut einprägen können.

Bei uns geht es jedoch nicht um das Lernen von Sachverhalten, sondern um ein Überarbeiten von Denkformen. Dann hat eine Zusammenfassung meines Erachtens eine völlig andere Aufgabe; nämlich die, ausgehend von dem neu erreichten Reflexionsniveau den bereits zurückgelegten – aber erst jetzt sichtbar gewordenen – Weg verständlich zu machen:

Wo befinden wir uns? Weshalb sind wir überhaupt hierher gegangen? Was erweist sich in dieser umfassenderen Sichtweise als falsch an dem alten Weg? Welche überraschenden Möglichkeiten eröffnet der neue?

 

Das Fehlen der Seienden bedeutet, daß wir uns von einem behauptenden oder doktrinären Denken verabschieden können – und der größeren Freiheit wegen auch sollten. Mir geht es um eine selbstkritische Aufklärung, die erzieherisch oder therapeutisch wirken und damit befreien will; für Ludwig Wittgenstein besteht allein darin die Aufgabe der Philosophie.

Letztlich spreche ich auch lediglich von Philosophie und Theologie, weil das die beiden einzigen Disziplinen sind, die von der Wirklichkeit handeln (sollten), während die Einzelwissenschaften nur Modelle kennen. Darin besteht beileibe keine Kritik, sondern unsere – zu Beginn der Moderne entdeckte – überaus erfolgreiche Forschung ist nur auf diese Weise, das heißt, im Wechselspiel von hypothetischen Modellen und falsifizierenden Experimenten möglich.

Aber natürlich nicht übertragbar; Hypothesen über die Wirklichkeit oder Modelle von ihr nutzen uns nichts, sobald es um die Wirklichkeit selbst geht, so daß jegliche Forschung in Philosophie bzw. Theologie ausgeschlossen ist.   

Viele Gläubige würden dem wohl zustimmen, mich dabei aber, wie ich fürchte, trotzdem völlig mißverstehen:

 

Zum einen bin ich überzeugt, daß wir die Bedeutung der Vernunft für den Glauben kaum überschätzen können.

„Ein der Vernunft widersprechender ‚Glaube‘ ist Aberglaube oder schlichtweg Unsinn“ schreibt Peter Knauer meines Erachtens zurecht.

Was aus der Vernunft folgt, hat natürlich nichts mit dem christlichen Glauben zu tun, denn der bezieht sich ausschließlich auf die Selbstoffenbarung Gottes. Aber was der Vernunft widerspricht, können und sollen wir gewiß ebenfalls nicht glauben. 

 

Zum anderen warnen einzelne Christen immer wieder, der Glaube dürfe sich nicht dem Zeitgeist anpassen. Das scheint mir ebenso richtig zu sein wie – aus mindestens drei Gründen – nicht ganz unproblematisch.

Wer spricht, benutzt notwendigerweise die Sprache seines Umfelds und taucht damit in deren Geist ein; andernfalls würden die Mitmenschen ihn gar nicht verstehen. Die Sprachen sind jedoch ebenso zeit- wie ortsabhängig, und das Übersetzen ist kein rein sprachliches, sondern ein kulturelles Problem.

Des weiteren erweist sich immer sehr vieles am Zeitgeist als irrelevant für das, was uns am Herzen liegt; dann stört er aber auch nicht. Jesus lebte beispielsweise in der Naherwartung des Reiches Gottes und sagte kaum etwas zur Gleichberechtigung der Frauen oder gegen Sklaverei und Ständedenken. All das ist uns heute mit Recht wichtig, weil sich der Zeitgeist – unabhängig von Jesus‘ Botschaft – gandert hat.

Und schließlich ist Zeitgeist nicht gleich „Zeitgeist“. Natürlich kann man mit bestem Wissen und Gewissen zum Beispiel gegen jegliche Form von Wissenschaftsgläubigkeit sein und muß die Stars der Medien nicht anhimmeln. Aber das Ignorieren oder gar Ablehnen der großen Philosophen – insbesondere Kant im 18., Nietzsche im 19. oder Heidegger und Wittgenstein im 20. Jahrhundert – ist für den Glauben tödlich, weil er dann bei immer mehr Menschen nicht vor deren subjektiver Vernunft bestehen kann und deshalb von ihnen abgelehnt werden muß.

„Ein der Vernunft widersprechender ‚Glaube‘ ist Aberglaube oder schlichtweg Unsinn“ . . .

 

Ich wiederhole mich:

Denkbar ist bekanntlich vieles,

konsistent denkbar schon erheblich weniger und  

plausibel denkbar– das heißt, in Einklang mit unserem übrigen Wissen von der Welt – gar nicht mehr so viel.“ (Martin Seel)

Wer etwas Altes glaubt, ohne zeigen zu können, daß es auch heute plausibel gedacht werden kann, „ist von gestern“, und hätte sich vielleicht doch ein wenig um Kant, Nietzsche, Heidegger oder Wittgenstein bemühen sollen.

 

Ohne Seiende gibt es insbesondere keine menschlichen Körper, und die werden traditionell im wesentlichen mit uns Subjekten identifiziert; das führte postmodern zum „Tod des Subjekts“. Aber das ist meines Erachtens unrichtig; das traditionelle Subjekt konnte gar nicht sterben, weil es nie gelebt hat.

Was in diesem Zusammenhang „Leben“ genannt wird, ist unsere biologisch-medizinische Reflexion, die höchstens irrtümlich glauben kann, vom Leben zu sprechen. Ihr zufolge drückt es sich vielleicht durch Bewegung, Reizbarkeit, Fortpflanzung, Wachstum und Stoffwechsel aus.

Mit mir hat das alles nichts zu tun, obwohl es doch um mein Leiben gehen müßte. Wo bleiben meine Freiheit, meine Hoffnungen und Ängste? Warum studieren die Biologen, um das Leben kennenzulernen, Amöben und Pantoffeltierchen, statt sich auf sich selbst als Lebend(ig)e zurückzuwenden?

 

Trotzdem schlossen sich nicht nur der „gesunde Menschenverstand“, sondern auch Philosophie wie Theologie diesem Denken bisher weitgehendst an und fügten dem Körper gegebenenfalls noch eine unsterbliche Seele hinzu, um ein Leben nach dem biologischen Exitus denkbar zu machen. Abgesehen von dieser vordergründigen Absicht – die natürlich niemals als Begründung taugen kann – scheint mir eine solche Vorstellung jedoch sogar unchristlich zu sein:  

Unsterbliche Seelen bedürfen keines Gottes, denn sie leben aus eigener Kraft für immer; was anders bedeutet Unsterblichkeit? Das ist griechische Mythologie, die zu einem ewigen Kosmos ohne Anfang sowie Ende paßt, weil sie auf das Selbsterhaltungsvermögen der Seelen setzt.

 

Christen glauben dagegen keine vollautomatische Auferstehung, sondern daß Gott, der die Liebe ist, uns sowohl Freiheit als auch Geborgenheit schenkt. Beides zusammen ermöglicht es uns, zu einem Selbst zu werden.

Schon vor 150 Jahren war dieser Gedanke schwer zu vermitteln; Fichte schrieb damals:

„Die meisten Menschen wären leichter dahin zu bringen, sich für ein Stück Lava im Monde, als für ein Ich zu halten.“

Geborgen in Gott glauben Christen, daß er sie nicht dem Tod überläßt, sondern auferweckt. Ohne ihn geht für den Gläubigen gar nichts – nicht einmal Auferstehung.

Selbst Christus ist nicht – dank einer unsterblichen Seele – „auferstanden von den Toten“, sondern durch Gott auferweckt worden. Wer wirklich mausetot ist, kann nicht von sich aus auferstehen.

Daß eine Auferweckung möglich ist und somit kein bloßer Wunschtraum bleiben muß, können wir an dieser Stelle noch nicht sauber denken – und folglich auch nicht intellektuell redlich glauben.

 

Als nächsten Schritt zu diesem Ziel betrachten wir die Fehler, die das traditionelle Denken unseren Überlegungen in diesem zweiten Teil zufolge begeht, nochmals aus einer anderen Perspektive. Wir wählen dazu als Beispiel eine Besichtigung des Kilimandscharo und stellen uns vor, als Subjekte und damit als Körper – an seinem Fuß zu stehen und die Augen auf den Berg zu richten.

Dieses Bild scheint die logischste und einfachste Sache der Welt zu sein – enthält aber mindestens sechs kritische bis irrationale Zwischenschritte.  

 

1. Die Vorstellung, unser Körper befinde sich am Rand des Berges und betrachte ihn, ist natürlich möglich; wir können uns den größten Unsinn vorstellen.

Aber in der Wirklichkeit ist diese Situation ausgeschlossen, wenn wir – wie die Tradition behauptet – als die wahrnehmenden Subjekte mit unserem Körper zusammenfallen. Denn dann muß unser Blick- oder Gesichtsfeld bei den Augen beginnen und sich vor dem Körper ausbreiten, so daß wir unmöglich von außen sehen können, wie unser Körper vor dem Kilimandscharo steht.

Wer also traditionell denkt und die soeben angedeutete Vorstellung als eine solche von der Wirklichkeit betrachtet, benötigt nicht nur eine Psyche für seinen Körper, sondern außerdem einen unmittelbaren Kontakt zum „Gott der Philosophen“ (Blaise Pascal), denn er maßt sich an, über dessen Schau verfügen zu können. (Bei den Griechen war das der Nous, und Thomas Nagel charakterisiert dessen Sichtweise als den „Blick von nirgendwo“ – „und nirgendwann“ würde ich ergänzen wollen.)

Die Namen sind letztlich belanglos; aber die Einsicht, daß der traditionelle Ansatz nur mit irgendeiner „göttlichen Ergänzung“ konsistent wird, halte ich für fundamental und recht sicher. Natürlich hat der für diesen Naiven Realismus notwendige Gott nichts mit dem des christlichen Glaubens zu tun, aber gewiß kam und kommt es des öfteren zu Verwechslungen.

 

2. Der (physikalische) Kosmos ist primär ein visueller; gewiß auch weil das Sehen unseren wichtigsten Sinn darstellt, mit Sicherheit jedoch auch weil wir nicht das sehen, was sich immer schon im Raum befindet, sondern unser Sehen diesen erst hervorbringt. Eine Vorstellung, bei der sich alle wesentlichen Teile – insbesondere also unser Körper sowie der Berg – im Raum befinden und somit in Sehungen bestehen, muß das Sehen bereits hinter sich haben und kann es somit niemals erklären.  

Anders formuliert:

Solange wir nicht(s) gesehen haben, kann es auch keine Sehungen geben, so daß diese niemals zum Erklären des Sehens benutzt werden können.

Es gibt unsere Ausangsvorstellung nicht ohne den Gott der Philosophen, aber der schaut offensichtlich sehr menschlich und erzeugt ebenfalls durch sein Sehen den Raum.

 

3. Die Einsicht, das Sehen nicht mittels der Sehungen erklären zu können, teilen natürlich auch viele traditionell Denkende. Um diese Schwierigkeit zu überwinden, erfinden sie die Seienden, behaupten die Sehungen als deren Abbilder und verdoppeln damit die Zahl der beteiligten Gegenstände:

 

Sehung A   →   Seiendes A   +   dessen Abbild oder Sehung A

 

Nun funktioniert die angezielte Erklärung widerspruchsfrei:

Der seiende Körper richtet seine Augen auf den seienden Berg und erhält dadurch dessen Abbild als Sehung.

Durch diese praktische Erfindung können wir auch uns selbst sehen:

Der seiende Körper richtet seine Augen auf sich selbst und erhält dadurch ein Abbild von sich als Sehung.

 

Es ist Halbzeit; bevor wir zu den drei noch fehlenden Mißlichkeiten kommen, schiebe ich mein Resümee der drei besprochenen ein:

Die Tradition löst ihre Probleme durch das Konstruieren von Seienden und kann das auch nur durch den damit erzielten Erfolg rechtfertigen. Was die traditionelle Philosophie von den verschiedenen postmodernen Konstruktivismen unterscheidet, ist also lediglich, daß diese offiziell konstruieren, während jene es heimlich tut, aber behauptet – und wohl zumeist auch selbst glaubt – abzubilden.   

Die traditionelle Erfindung der Seienden läuft darauf hinaus, die Leibhaftigkeit unseres eigenen subjektiven Lebens durch eine (partiell) intersubjektive Reflexion desselben zu ersetzen oder damit zu verwechseln:

Nicht ich als Subjekt sehe wirklich den Kilimandscharo, sondern

ich als Subjekt stelle mir wirklich vor, den Kilimandscharo zu sehen; aber

die Vorstellung des Sehens ist kein Sehen – sondern eine Vorstellung –,

sieht folglich auch nichts und

kann somit auch völlig falsch sein.   

 

Diese gegenwärtigen Überlegungen verdanke ich George Spencer-Brown, der sehr tief über das Leben und die dafür notwendige irreversible Zeit nachgedacht hat. Sein Hauptwerk, die „Gesetze der Form“, ist leider nahezu unverdaulich. Daraus resultiert wohl auch, daß die Wertschätzung, die Spencer-Brown von seinen Lesern erfährt, zwischen genial und . . . extrem schwankt; für mich ist er ein grandioser (mathematischer) Denker.

Ihm zufolge entspricht das Vorstellen oder Reflektieren einem bloßen reversiblen Unterscheiden; solange wir das tun, steht unser Leben in seiner Leibhaftigkeit still; es setzt sich erst fort, wenn wir wieder vom Unterscheiden zum irreversiblen Entscheiden übergehen.

 

An jedem Unterscheiden sind prinzipiell vier Elemente beteligt:

1. Das Ganze oder Umgreifende, innerhalb dessen wir unterscheiden

    Unser Körper in Tansania

2. Das innerhalb dieses Umfassenden liegende Ziel A.

    Der Kilimandscharo

3. Die dieses Ziel begrenzende geschlossene Linie (oder Fläche)

    Der Fuß des Berges

4. Die andere Seite der Grenze; alles außer A, rein logisch also non-A

    Die Weite des umgebenden Landes

Der erste Punkt scheint vielleicht nicht ganz zwingend; er ist jedoch erforderlich, weil es ohne ihn kein „alles außer A“ gibt und damit die andere Seite der Grenze oder das non-A fehlt.

Weder unsere Katze noch der Satz des Pythagoras spielen beim Unterscheiden eine Rolle; sie sind nicht in non-A enthalten, weil sie nicht „unserem Körper in Tansania“ angehören.

 

Gehen wir jedoch zum Entscheiden, das heißt, zur Leibhaftigkeit unseres Lebens über, wird das Ganze oder Umgreifende zur völlig ungewissen Offenheit der Zukunft, so daß von unseren vier Punkten lediglich das Ziel A verbleibt

Wir treffen eine Entscheidung und erleben ausschließlich deren Folgen.

 

Zum einen müssen diese keineswegs unserer ursprünglichen Intention – dem Ziel A – entsprechen.

Wir wollten beispielsweise bei Francesco Himbeereis essen, bekommen aber durch unsere Entscheidung – vielleicht kein Eis, sondern – Streit mit der Bedienung, ein Geschenk als tausendster Gast oder beim Eintreten eine Dachschindel auf den Kopf.

 

Und zum anderen kommt das, was bei einer anderen Wahl geschehen wäre  – innerhalb von non-A also –, weder vor noch spielt es irgendeine Rolle.

Die Zeit in der wir leben, ist irreversibel, und wir sind nicht in ein sauber definiertes Umgreifendes eingetreten, sondern in eine adventische absolut unbekannte Zukunft. Das andere war lediglich eine Vorstellung, das heißt, ein Ausschnitt unseres Wirklichkeits-Bildes; und dafür interessiert sich die Wirklichkeit nicht im geringsten.

 

4. Der Kilimandscharo ist einmalig; aber nicht nur er. Alles Sich-Zeigen ist einmalig und besteht per definitionem in Phänomenen.

Sie bilden ein Sich-Zeigen, dem wir einen Namen geben können; „Kilimandscharo“ beispielsweise.

Unser Wirklichkeits-Bild macht das Phänomen namens „Kilimandscharo“ zum Berg; im Wirklichkeits-Bild vieler Einheimischer wird es zum Sitz ihrer Götter.  

Das Phänomen namens „Kilimandscharo“ ist in Wirklichkeit keines von beiden und auch nichts anderes, denn ein Phänomen kann kein Ding oder ein einmaliges Sich-Zeigen kein wiederholbares Objekt sein.

 

Dieses Problem ist zumindest seit dem Nominalismus im späten Mittelalter bekannt. Damals ging es um Einzeldinge und die Einsicht, daß sie als solche nicht auf den Begriff gebracht werden können; „Individuum est ineffabile“.

Die Postmoderne führt diese Erkenntnis weiter und geht davon aus, daß die „Einzeldinge“ des Nominalismus noch nicht einmal Dinge sind, sondern erst und nur Phänomene als ein einmaliges Sich-Zeigen. Einzeldinge gibt es meines Erachtens gar nicht; entweder „Einzel“ oder Ding“.

Je nach Wirklichkeits-Bild können die Phänomene in die unterschiedlichsten Dinge oder Objekte innerhalb der subjektiven Welt umgewandelt werden. 

 

5. Die Phänomene  lösen auch das noch offene „Seins“-Problem der Tradition.

Wir hatten des öfteren erwähnt, daß niemand erklären kann, worin die angebliche Existenz der Seienden besteht; was uns freilich auch kaum überraschen dürfte. Sie wurden erfunden und werden benötigt, um eine fundamentale Schwierigkeit des traditonellen Denkens zu beseitigen – aber es gibt sie doch gar nicht; oder vorsichtiger ausgedrückt:

Es macht keinen Unterschied, ob sie existieren oder nicht.

Wie soll man dann herausfinden können, worin das „Sein“ von derartigen Seienden besteht?  

 

Das Sein der Phänomene ist dagegen eher unproblematisch.

Sie zeigen sich nicht; bei einem solchen Verständnis stünden wir ja weiterhin vor dem Problem, daß die Phänomene – irgendwie – im traditionellen Sinne sein müßten, bevor sie sich zeigen oder um sich zeigen zu können.

Vielmehr sind die Phänomene ihr ein Sich-Zeigen – hinter dem nichts mehr steht, so daß dieses „ihr“ keinen Sinn hat.

Hinter den Phänomenen steht nichts, aber vor ihnen, denn jedes Sich-Zeigen setzt einen Adressaten voraus.

Das paßt zu unserem bisherigen Vorverständnis der Subjekte als der Wahrnehmenden; sie stehen vor den Phänomenen als deren Für.

 

6. Daß Phänomene ein Sich-dem-Subjekt-Zeigen sind, bedeutet, daß wir Phänomen und Subjekt nicht voneinander trennen dürfen. Natürlich gibt es kein Phänomen ohne Subjekt – kein Sich-Zeigen ohne Für –, aber die Umkehrung gilt ebenso: Kein Subjekt ohne Phänomen.

Wir dürfen uns also insbesondere nicht vorstellen, daß ein Subjekt seine Phänomene wahrnimmt, denn damit wären die beiden ja bis zur Wahrnehmung getrennt. Phänomene werden nicht wahrgenommen, sondern sind ein Sich-Zeigen.  

Das wird bei visuellen Phänomenen überdeutlich:

Würden wir den Kilimandscharo sehen, müßte er sich im Raum befinden, weil das Sehen diesen erzeugt. Phänomene können räumlich sein – der Klimandscharo ist es ebenso wie ein ausstrahlender Schmerz –, sich aber niemals im Raum der Sehungen befinden.

 

AD: „Wenn ich Sie recht verstehe, bedeutet dies, daß es ohne Subjekte auch keine Erde geben kann und damit insbesondere jegliche Evolution hinfällig wird?“

Natürlich; dabei wende ich mich jedoch nicht gegen die Evolution, sondern gegen die Seienden; ob sie sich einer Entwicklung oder Schöpfung verdanken sollen, ist völlig gleichgültig. 

Die Erde stellt in unserem Wirklichkeit-Bild einen heliozentrischen Planeten dar, und eine solche Erde gibt es vielleicht noch keine 2500 Jahre.

Lernt ein Kleinkind zu laufen oder werden Apfelbäume gepflanzt, geht das auch nicht ohne die Erde. Aber dabei ist sie kein Planet, sondern das Phänomen namens „Erde“, das heißt, die Erde als ein Sich-Zeigen, das nicht von dem Kind bzw. Pflanzenden gelöst werden kann.

 

Es gibt die Erde folglich doppelt:

Zum einen subjektiv als unsagbares einmaliges Phänomen. Dann stellt die Erde keinen Planeten dar; der Kilimandscharo ist kein Berg und die Elbe kein Fluß – was uns freilich nicht daran hindern muß, sie zu bebauen, ihn zu besteigen bzw. in ihr zu baden.

Zum anderen wird dieses Phänomen namens „Erde“ durch die jeweiligen Wirklichkeits-Bilder intersubjektiv auf ganz unterschiedliche Weise zu einem wiederhollbaren Objekt der Welt; zum Beispiel als Planet, Scheibe oder Hohlkugel. 

Die seiende – „wirkliche“ oder „richtige“ – Erde im Sinne der Tradition existiert dagegen postmodern nicht (mehr). Und was bedeutete eigentlich „existierte“, als sie noch existierte?

 

AD: „Den letzten Zweizeiler kann ich absolut noch nicht nachvollziehen; aber ich gehe davon aus, daß Ihnen das klar ist und wir noch ausführlich darauf zurückkommen werden.

Bis dahin korrigiere ich schon einmal mein bisheriges Sprachverständnis:

Mit der Tradition hatte ich einen Dualismus von – Sprache und Welt, Symbol und Wirklichkeit oder – Worten und Seienden vorausgesetzt, in dem diese von jenen bezeichnet werden. Aber das muß Ihrer Meinung nach ja falsch sein, denn was es gar nicht gibt, läßt sich auch nicht bezeichnen.

Das Ganze ist dumm gelaufen für mich; jetzt weiß ich auch nicht mehr, was Sprache, Symbole oder Worte sind . . .“