1.4. „Methode“

Unsere „Methode“ ist so denkbar einfach, daß ich den Titel mit Anführungszeichen versehen habe. Wir versuchen lediglich konsequent, Kants „sapere aude“ zu befolgen:

„Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“ und dabei auch gegen scheinbare Selbstverständlichkeiten der Zeit anzudenken, wenn Du sie vor Deiner Vernunft nicht rechtfertigen kannst. Plappere nicht einfach leere Begriffshülsen nach, nur weil man – in Deiner Kommunität – so redet, sondern „versuche zu verstehen, was Du selbst sagst“.

In diesem Bemühen sah Georg Picht den Sinn des Philosophierens.

 

Ich glaube nicht an die eine objektive Vernunft, die der traditionellen Moderne zufolge für alle Menschen die gleiche – und womöglich auch noch „die bestverteilte Sache der Welt“ (René Descartes) – sein soll.

An ihre Stelle tritt meines Erachtens unsere subjektive Vernunft, die auf den eigenen Lebenserfahrungen beruht. Ein objektiverer oder „höherer“ – vielleicht gar absoluter – Maßstab ist uns nicht zugänglich, denn wir sind Menschen, die stets an ihr singuläres Hier und Jetzt gebunden bleiben – ohne Kontakt zu einem angeblichen „Weltgeist“ (Hegel), „transzendentalem Subjekt“ (Kant) oder ähnlichem.

Diese subjektive Vernunft kommt nicht zuletzt auch in den „Wahrheitspraktiken“ (Michael Hampe) zum Ausdruck, die für alle Bereiche unseres Lebens bestehen und häufig deutlich zeigen, was wir in der betreffenden Sphäre intersubjektiv als richtig anerkennen sollten. In der Mathematik zum Beispiel betrifft das die Ableitungen aus den Axiomen, vor Gericht die Zeugenaussagen und im Alltag das Wort eines Freundes.

 

Die Tradition geht im Sinne einer objektiven Vernunft davon aus, daß – gemäß unserem Bild mit dem Blinden – der eine richtige Weg durch den Wald existiert.

Bis zum Mittelalter kannten ihn zumeist nur die jeweiligen Autoritäten; sie galten als Garanten der Wahrheit, so daß diese ihnen einfach geglaubt werden mußte. Die Aufklärung wandte sich mit Recht gegen ein solch naives Nicht-Denken und animierte jeden gesunden Erwachsenen, „sich aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien“ (Kant), um selbst erkennen, verstehen, argumentieren sowie glauben zu können.

Der aufklärerisch-moderne Traum von einer fundamentalen Wahrheitstheorie für möglichst alle Bereiche sollte zur intersubjektiven Übereinstimmung führen und damit helfen, sinnlose Konflikte wie die Religionskriege des 17. Jahrhunderts in Zukunft zu vermeiden. Diese Hoffnung erwies sich jedoch als überzogen und wird von der Postmoderne nicht mehr geteilt. Sie verbleibt bei den 1000 funktionierenden Wegen, Dietrichen oder Wahrheitspraktiken, und jeder von uns steht vor der Aufgabe, die seinigen zu finden.

Die Aufklärung besitzt also zwei Aspekte, die wir deutlich auseinanderhalten müssen:

 

(1) Natürlich hat Kant Recht mit seinem Aufruf, die Verantwortung stets als unsere eigene anzuerkennen. Das betrifft nicht nur alles Tun oder Sprechen, sondern gilt auch für unser Denken, Glauben und Wissen. Wer die Bestimmung hierüber anderen anvertraut, entmündigt sich selbst und scheidet damit als ernstzunehmender Gesprächspartner aus.

Reinhard Kreissl fragt in seinem Buchtitel spitz: „Wo lassen Sie denken?“

Ich wollte es vor der Wende nicht in Ost-Berlin oder Moskau, will es aber auch heute weder in Rom bzw. Riad noch im Silicon Valley.

 

Besonders bei weltanschaulich-religiösen Fragen, die schwerlich durch Erfahrungen entschieden werden können, ist das eigene Denken überaus wichtig. Der Verzicht auf letzteres entspricht sonst dem Freifahrtschein, jede willkürliche (widerspruchsfreie) Aussage – und natürlich auch ihr glattes Gegenteil – behaupten zu können, weil eine Überprüfung ausgeschlossen ist.

Wegen eines solchen Fehlens der Falsifizierbarkeit wurden beispielsweise viele Schulen der Tiefenpsychologie von ihren Gegnern nicht als seriös oder gar „wissenschaftlich“ anerkannt. Das gilt natürlich auch für jede Theologie, die sich auf fromme Formulierungen, blinden Glauben, bloße Textstellen oder andere unbegründbare Äußerungen beruft.   

 

(2) Aber da wir „nur“ über eine subjektive Vernunft bzw. Wahrheitstheorie verfügen, bleibt unser eigenes Denken natürlich individuell und wird somit niemals zu den ursprünglich von der Aufklärung erhofften objektiv-einheitlichen Ergebnissen führen. 

Das Denken setzt unter anderem voraus, sich im Streitgespräch „dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ (Jürgen Habermas) zu beugen. Das bringt beide Seiten weiter; unabhängig davon, welcher von ihnen dieses Argument entstammt. Der damit einhergehende Verzicht auf willkürlich-beliebige Meinungen bringt zugleich einen Gewinn an Freiheit mit sich, denn letztere besteht

– nicht im Umfang des wählbaren, wenn auch noch so dummen Angebots, sondern

– in der Möglichkeit einer gerechtfertigten, weil wohlüberlegten Wahl. 

 

Freiheit bedeutet, mit anderen Worten,

argumentativ sauber begründen sowie

– daraufhin entscheiden zu können,

und unsere Fähigkeit zu beiden besteht in der Vernunft.

Sie führt zu einem „Müssen“; „ich ‚muß‘ das jetzt zugeben, sagen, tun oder zumindest überdenken“.

Friedrich Nietzsche konnte deswegen formulieren „Ich habe nie eine Wahl gehabt“ und meinte damit, daß stets zwingende Gründe für seine Freiheitsentscheidungen vorlagen. Eine möglichst saubere Begründung und dadurch „erzwungene“ Entscheidung bilden die beiden notwendigen Seiten der Freiheit, von denen es die eine niemals ohne die andere gibt, so daß jegliche „freie Wahl“ entfällt.

„Frei wählen“ können wir zwischen Lamm und Rindfleisch; aber das tun vielleicht auch die Katzen.

 

Da wir über keinen höheren Maßstab als unsere subjektive Vernunft verfügen, kann es mir auch nicht um eine angeblich aus uns selbst kommende Autonomie gehen. Wir stehen – nur optisch, aber – nicht wirklich auf eigenen Beinen; mit der gleichen Überzeugung wie oben setze ich Kants Zitat also fort:

Ignorare aude; „habe zugleich auch den Mut, Deine Verwundbarkeit, Endlichkeit, Kontingenz, Grenzen usw. anzuerkennen. Du hast Dich nicht selbst hervorgebracht, bleibst damit abhängig, und die Wirklichkeit geht nicht nur über Dich hinaus, sondern ist auch unverfügbar. Deine Selbstbestimmung bedeutet somit keine Autonomie im Sinne von Selbständigkeit, sondern beschränkt sich auf die Dir anvertraute endliche Sphäre der Freiheit.“

 

Wir bestimmen uns selbst in Freiheit zu dem, der wir dann sein werden; nur so ist ein – mit sich selbst übereinstimmendes, das heißt – kongruentes Selbst möglich. Kein Gott kann das schöpfen; das können wir nur selbst schaffen – aber eben nicht autonom, aus eigener Kraft oder aus uns selbst heraus, sondern allein, weil uns die Freiheit zur Selbstbestimmung geschenkt wird.

Diese Ermöglichung der Freiheit entspricht meines Erachtens der Schöpfung, die traditionell zumeist als ein Machen oder Herstellen von Seienden – insbesondere von uns Subjekten – mißverstanden wird.

 

Beide Aussagen zusammengenommen – Kants Zitat und seine Fortsetzung durch uns – bedeuten, daß uns eine Freiheit auszeichnet, die wir einem oder einer Ganz-Anderen verdanken.

Die „Atheisten“ lehnen dieses Ganz-Andere häufig aus guten Gründen ab, weil sie eine hinterwäldlerische Vorstellung davon haben, zu der ich ebenfalls nur „nein“ sagen könnte.

Viele „Rechtgläubige“ wissen dagegen nicht nur genau, daß das Andere existiert, sondern kennen es auch sehr gut und können uns viel darüber erzählen; zum Beispiel, daß es „der Andere“ heißen muß.

Völlig unabhängig von derartigen konkreten Inhalten glaube ich das jedoch ebenfalls nicht; es gibt kein Wissen von dem oder der Anderen. Wir bemühen uns deshalb um einen Mittelweg zwischen Skylla und Charybdis, der aus dem Ziel resultiert, das Ganz-Andere zugleich

– sowohl in seiner unbedingten Notwendigkeit – als Ursprung des Lebens –

– wie auch als absolutes Geheimnis

deutlich werden zu lassen.

 

Nichtsdestotrotz ist dieses Buch ein rein philosophisches – auch wenn Gott darin eine wesentliche Rolle zukommt. Es ist freilich nicht der traditionelle (Lückenbüßer-)Gott, mit dem wir aufgrund seiner angeblichen Allmacht und Allwissenheit sämtliche Probleme lösen und Fragen beantworten können. Mit einem Allmächtigen dieser Art läßt sich denkerisch natürlich gar nichts anfangen:

„Kann Gott einen runden Würfel herstellen?“

„Natürlich; was fragst Du überhaupt? Er kann doch alles; daß wir nicht verstehen, wie er das in seiner unendlichen Weisheit macht, liegt an unserer Endlichkeit, in der wir die großartigen Handlungen Gottes niemals erfassen werden. Das betrifft insbesondere auch sein Dulden des Leids in der Welt, die Theodizee-Frage oder den ‚Fels des Atheismus‘ (Georg Büchner). Wir werden in der Ewigkeit einmal sehen, daß Gott alles herrlich für uns gefügt und wahrscheinlich sogar ‚die beste aller möglichen Welten‘ (Leibniz) geschaffen hat.“

 

Dazu würde ich sagen:

(1) Ein runder Würfel ist logisch widersprüchlich und damit ein Unding, das natürlich auch Gott nicht zu schaffen vermag. Damit haben wir jedoch nicht seine Allmacht widerlegt, sondern lediglich den Bereich vernünftigen Sprechens begrenzt. Es macht keinen Sinn, Gottes Stellung zu Sinnlosem zu erfragen.

(2) Als bedenkenswert erscheint mir dagegen beispielsweise die Frage, ob Gott, der nach christlichem Verständnis selbst die Liebe ist, auch hassen kann oder trotz seiner Allmacht lieben muß? Gilt letzteres, müßte meines Erachtens jede Hölle praktisch ausgeschlossen sein.

(3) Und selbst wenn Gott die beste aller möglichen Welten geschaffen hätte, erhebt sich für mich – angesichts des unvorstellbaren Leids in der Geschichte – die Frage, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, er hätte ganz auf seine Schöpfung verzichtet, denn viele Menschen sehen das eigentliche Problem nicht in ihrem Tod, sondern in ihrer Geburt.

 

Natürlich kann uns die subjektive Vernunft nahelegen, bei speziellen Fragen bestimmte Autoritäten anzuerkennen, weil diese ihre Kompetenz auf dem betreffenden Gebiet – wie wir meinen – deutlich nachgewiesen haben. Aber weder kann eine Autorität diesen Anspruch von sich aus erheben oder blindlings unser Vertrauen einfordern, noch delegieren wir damit unsere Verantwortung an sie; es war doch gegebenenfalls unsere Entscheidung, die jeweilige Autorität für uns denken, glauben oder wissen zu lassen.

Diese unübertragbare Verantwortung bildet gemeinsam mit der subjektiven Vernunft den Kern der Menschenwürde; letztere entspricht einer Medaille mit jenen beiden als ihren zwei Seiten. Sprechen wir einem Menschen – durch Indoktrination – seine Verantwortung oder subjektive Vernunft ab, so berauben wir ihn seiner Würde und machen ihn zu einer Marionette an den Fäden unserer Macht.

 

„Niemand hat das Recht zu gehorchen“ (Hanna Arendt) und sich damit hinter anderen zu verstecken. Es gibt nach der Aufklärung – über die „Aufklärung“ – keine Ausrede mehr. Jean-Paul Sartre mag damit Unrecht haben, daß wir „zur Freiheit verdammt“ seien; aber richtig bleibt hieran, daß auch das „Nicht-Entscheiden-Wollen“ – demzufolge andere für uns denken, glauben oder wissen – ein freies Entscheiden darstellt, für das wir selbst verantwortlich sind.

Die meisten von uns würden bei größeren Geldgeschäften keinem Fremden blind vertrauen, sondern versuchen, sich möglichst selbst kundig zu machen. Ich schließe mich dem 100%-ig an – und ergänze lediglich, daß mir grundlegende existenzielle, religiöse oder weltanschauliche Fragen mitunter noch wichtiger sind als finanzielle.  

 

Schlußendlich nimmt meine „Methode“ die Selbstverständlichkeit ernst, daß wir über Dinge, die uns prinzipiell unzugänglich sind, auch weder sinnvoll nachdenken noch sprechen können. Natürlich läßt sich alles Mögliche vorstellen bzw. behaupten; aber Meinungen bezüglich eines Bereichs, der uns grundsätzlich verborgen bleibt, erweisen sich als unkontrollierbar und damit als willkürlich oder beliebig.

Das bedeutet freilich nicht, daß ein derartiges Gedöns belanglos sei oder keine Konsequenzen hätte. Wäre dem so, könnten wir es generös auf sich beruhen lassen; aber alle politischen, religiösen, wirtschaftlichen oder sonstigen Diktaturen zeigen, daß zwischen diesem und jenem Blablabla ein himmelweiter Unterschied bestehen kann

 

Mit dem für uns Unerreichbaren meine ich natürlich keine Tabus, Denkverbote oder von irgendwelchen „Experten“ zu Geheimnissen erklärte Bereiche. Soetwas gibt es für mündige Menschen meines Erachtens nicht; nur Scharlatane, Lügner, Karrieristen oder Despoten benötigen dergleichen.

Damit entzaubere ich die Wirklichkeit nicht; ganz im Gegenteil; sie ist ambig und voller Geheimnisse. Aber worin diese bestehen, vermag uns niemand zu sagen, sondern das können wir nur selbst erfahren, indem wir uns ernstlich um die Aufhellung der Geheimnisse bemühen.

Tun wir das nicht, liegen auch keine Geheimnisse vor, sondern an deren Stelle treten bloße Worte; „Gott“, „Transzendenz“, „Dreifaltigkeit“, „Subjekt“, „Leben“, „Tod“ und „Teufel“ oder „das Böse“ beispielsweise. Wer sagt, sie würden Geheimnisse bezeichnen, mag für sich persönlich Recht haben, kann dies aber nicht wie selbstverständlich auf andere übertragen:

Ein objektives Geheimnis ist ein Widerspruch in sich, denn was mich gar nicht interessiert, ist für mich kein Geheimnis, sondern Peanuts. Die einzige Wirklichkeit, die es für uns gibt, besteht im eigenen Leben, und was dazu keinen Bezug besitzt, kann also auch kein – wirkliches – Geheimnis sein.

 

Geheimnisse unterscheiden sich gewaltig sowohl von Rätseln als auch von Geheimlehren.

Letztere bilden Märchen für Erwachsene; versuchen wir ihnen auf die Spur zu kommen, verflüchtigen sie sich zumeist sehr schnell und wir schämen uns vielleicht der Aufmerksamkeit, die wir dem Unsinn zunächst geschenkt hatten.

Geheimnisse sind dagegen umso größer, phantastischer, umwerfender – eben geheimnisvoller –, je intensiver wir uns mit ihnen beschäftigen. Sie werden niemals gelöst; das unterscheidet die Geheimisse von bloßen Rätseln und verbindet sie mit philosophischen Fragen.

Die exakten Wissenschaften lösen lediglich Rätsel, kennen aber keine Geheimnisse, denn sie – sowohl die Wissenschaften als auch ihre Rätsel – sind nur (von uns) konstruiert.

 

Geheimnisse gehören dagegen zur Wirklichkeit und sind keine bloßen Konstruktionen. Insbesondere das Leben stellt für mich persönlich ein Geheimnis dar, so daß ich unter anderem die Biologie und Medizin nicht als Wissenschaften vom Leben betrachten kann. Wer es tut, verwechselt meines Erachtens die Leibhaftigkeit des Lebens mit bloßen Modellen oder die wirklichen Geheimnisse mit konstruierten Rätseln.

Die Hüter von ersteren müssen keine Angst um ihren Schatz haben; je offener sie ihn präsentieren, desto mehr werden sie ihrer Aufgabe gerecht, das Geheimnis als solches zu (be)wahren und weder zu einem leeren Wort noch zur Geheimniskrämerei verkommen zu lassen.

Geheimnisse verteidigen sich selbst gegen ihre „Entzauberung“ (Max Weber), weil sie bei jedem ernsthaften Versuch, sie aufzudecken, tiefer werden. 

 

AD: „Also bestreiten Sie, daß wir in den letzten 300 Jahren – oder vielleicht auch schon viel länger – die Wirklichkeit entzaubert haben?“

Ja; das tue ich!

Wir haben die Wirklichkeit bzw. das Leben nicht entzaubert – was uns auch gar nicht möglich wäre, da sie unverfügbar sind –, sondern vergessen, ignoriert und teilweise sogar bestritten. Das wahre Leben oder seine Fülle interessieren weitestgehend nicht mehr; statt danach zu fragen oder uns zu sehnen und darum zu bemühen, perfektionieren wir selbstzufrieden den Status quo zum komfortablen Luxus im falschen Leben.  

Martin Heidegger warf der Tradition „Seinsvergessenheit“ vor. Wir verstehen dieses Sein als Lebens-Wirklichkeit und schließen uns ihm an.

 

AD: „Selbst wenn alles, was Sie in diesem Kapitel gesagt haben, richtig wäre, fürchte ich, daß einige Leser mit Ihrer „Methode“ unzufrieden sind. Es gibt doch beispielsweise ganz verschiedene Denkrichtungen innerhalb der Philosophie; sollten Sie Ihre – wirkliche – Methode darin nicht ein wenig einordnen?“

Ich glaube nicht; eher hätten wir auf diese gesamte Methodendiskussion verzichten sollen, denn sie übersieht meines Erachtens zumeist, daß das Erkennen des Erkennens auch bereits Erkennen – und damit Philosophie – ist. Friedrich Nietzsche verspottete die Denker, die das ignorieren, indem er sie mit Menschen verglich, die ein Streichholz prüfen wollen, bevor sie es benutzen:

„Es ist das Streichholz, das sich selber prüfen will, ob es brennen wird.“

 

Ohne Bild gesprochen:

Von den Begriffen können wir uns nicht befreien; sie lassen sich nicht zum Gegenstand einer Betrachtung machen, ohne sie dafür im gleichen Moment in Anspruch zu nehmen, so daß in der Philosophie Inhalt und Methode zusammenfallen.

Im Umkehrschluß ließe sich damit freilich auch das gesamte Buch als eine einzige Methodendiskussion verstehen.

 

AD: „Das leuchtet mir ein; aber darf ich bitte noch einmal zurückgreifen:

Mir ist noch nicht klar geworden, was es bedeutet, daß Ihr Buch, obwohl Gott darin eine – für mich überraschend – große Rolle spielt, wie Sie selbst einräumen, rein philosophisch sein soll.“

Weil ich auch von Gott höchstens das sage, was meiner subjektiven Vernunft entspringt; Sie könnten mich also stets „Warum . . .?“ fragen.

„Woran ein guter Theologe nach Gott also am meisten glaubt, das ist die Vernunft.“ (Peter Knauer)

 

Zum Beispiel schließe ich – nahezu der gesamten christlichen Tradition zum Trotz – aus, daß Gott sowohl allmächtig wie auch allwissend ist.

Vermag er jederzeit zu tun, was er will, kann Gott nicht schon im Voraus wissen, was geschehen wird; er disponiert ja vielleicht noch um.

Weiß Gott dagegen, was kommen wird, muß er es dabei belassen, kann nichts mehr korrigieren und somit nicht allmächtig sein.

AD: „Das überzeugt mich nicht; Gott weiß doch auch schon immer, wann und wie er eingreift.“

Ja; einverstanden; aber dann muß er sich eben an dieses bereits von ihm selbst korrigierte Wissen halten – den Gegenplan gewissermaßen – und ist folglich wiederum nicht allmächtig.

 

AD: „Ich fürchte, jetzt denken Sie zu kurz:

Ihre Schußfolgerung stimmt wahrscheinlich – aber nur auf der Grundlage unseres menschlichen Verständnisses von der Allmacht sowie Allwissenheit. Bei Gott sind das ganz andere Kategorien, und an ihnen zerbricht jede menschliche Logik.“

Wenn Sie mit Allmacht bzw. Allwissenheit nicht das meinen, was wir unter diesen Begriffen im „Normalfall“ verstehen, ist mir unklar,

– was Sie mit der Allmacht resp. Allwissenheit Gottes überhaupt sagen möchten und

– weshalb Sie gerade diese Worte – trotz ihrer unangemessenen Bedeutung – benutzen.

 

Wir können über alles nur mittels unserer subjektiven Vernunft reflektieren; göttliches Denken gibt es wahrscheinlich gar nicht und gewiß nicht für uns.

Auch von Gott kann ich sinnvoll

weder etwas Widersprüchliches sagen

– noch etwas, was ich selbst nicht weiß oder verstehe.

Denn zum Glauben gehört meines Erachtens, daß wir zu etwas Verstandenem in einer freien Entscheidung, das heißt, begründet „ja“ sagen. Blinder „Glaube“ ist kein Glaube; Tertullians „Ich glaube, denn es ist absurd“ scheint mir abwegig zu sein, denn es wird so viel Absurdes erzählt – das kann man unmöglich alles glauben.

Der hieraus resultierende – wenn Sie wollen: postmoderne – Gott unterscheidet sich natürlich erheblich von dem traditionellen.

 

AD: „Nein; so geht das nicht. Es gibt weder einen traditionellen noch einen postmodernen Gott, sondern – wenn überhaupt einen, dann  – nur den richtigen oder wirklichen, der tatsächlich existiert; allein von ihm können wir sinnvoll sprechen.“

Eine solche Antwort klingt wohl in vielen Ohren sehr überzeugend, ist es aber nicht:

Sie wird zumeist so formuliert, als könnten wir – ganz ohne alles Denkenauf „den einen richtigen, wirklichen oder existierenden“ Gott zeigen. Aber tatsächlich besteht die Sphäre, in der er sich befinden muß und wir auf ihn zeigen möchten, in der objektiven Wirklichkeit der Seienden und wird somit gedacht

 

Der „richtige, wirkliche oder tatsächlich existierende“ Gott

– ist also der traditionelle,

– wird als Seiendes gedacht und

– stellt damit einen solchen Gott dar, von dem Dietrich Bonhoeffer sagt: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“

Damit bestreiten weder Bohoeffer noch ich die Wirklichkeit Gottes, sondern wir gestehen lediglich ein, noch keine Ahnung zu haben, auf welche Weise wir ihn anders – und damit vernünftig – denken könnten.

AD: „Gott läßt sich gar nicht denken!“

Doch; auch wer ihn wie selbstverständlich als Seiendes versteht, denkt Gott – wenn auch gedankenlos; und deswegen glaubt er, Gott nicht zu denken.

Ohne jegliches Wissen besteht zwischen Gott und dem Teufel keine Trennung, denn das Trennen entspricht dem verbalen Wissen.

 

Daraus ergibt sich ein wichtiger Unterschied zwischen traditionellen und postmodernen Christen; er besteht im Grad ihrer Demut bzw. umgekehrt im Maße ihres Sein-Wollens-wie-Gott:

Beide sagen, wie sie sich Gott aufgrund ihres gegenwärtigen Wissens denken; das ist alternativlos, denn niemand kann etwas anderes als sein Wissen vorbringen; das gilt selbst beim Lügen noch.

Die traditionell Denkenden ergänzen ihre Schilderung dann lediglich – vielleicht nicht ex-, mit Sicherheit aber implizit – durch den unbescheiden-wahnwitzigen Zusatz, mit ihren Ausführungen den einen wirklichen, richtigen oder existierenden Gott zu beschreiben, . . .

. . . und den postmodern Denkenden bleibt vor Staunen der Mund offen:

„Woher wissen die das?

Wir“, ergänzen sie vielleicht kleinlaut, „sprechen nur von unserem gegenwärtigen Wissen, und maßen uns nicht an, damit die Wirklichkeit Gottes treffen zu können.

 

Es ist tautologisch, nur über das eigene Wissen sprechen zu können. Wer etwas sagt, ohne es zu wissen, ist im günstigsten Falle ein Quatscher.

Unser Wissen entfaltet sich im Verlaufe des Lebens; als Baby wußten wir noch gar nichts, und bis heute haben wir irgendeinen Status quo erreicht. Sollte er auch noch so umfangreich und beeindruckend sein – es handelt sich lediglich um den Status quo einer Genese, die spätestens durch unseren Tod beendet wird, bevor wir ‚die Wahrheit‘ erreicht haben.

Das gilt ganz allgemein, und die postmodernen Christen akzeptieren es deshalb insbesondere auch bei Gott:    

Wollen wir tatsächlich etwas zum Ausdruck bringen und nicht nur fromm klingende Floskeln erzeugen, kann das Wort ‚Gott‘ also ebenfalls nur den Status quo unseres diesbezüglichen Wissens bezeichnen, das höchstwahrscheinlich so gut wie gar nichts mit Gott zu tun hat.

Das sagte selbst Karl Rahner von seiner eigenen Theologie; er stellte sich vor, wie Gott darüber lacht und sich auf die Schenkel klopftt: ‚Das soll ich sein?'“