Philosophie des christlichen Glaubens
Der christliche Glaube erhebt – wenn wir ihn wirklich ernstnehmen – einen gewaltigen Anspruch: Ohne Gott gäbe es gar nichts, weder uns noch irgendeine Wellt und könnte es auch gar nichts geben, weil alles aus ihm, durch und in ihm geschaffen ist.
Dass es die Welt ohne Gott nicht geben könnte, nimmt kaum noch ein Christ ernst, weil sich der „Glaube“ an das moderne naturwissenschaftlich-technisch-ökonomische Weltbild angepasst hat – damit aber aufhört, christlicher Glaube zu sein:
Die allermeisten Menschen erklären heute den Aufbau und das Funktionieren unserer Welt rein natürlich oder immanent, vielleicht wissenschaftlich oder eher hausbacken. Christen und Nicht-Christen unterscheiden sich dann lediglich noch in ihren Antworten auf die Frage, wie diese in sich runde und stimmige, das heißt autarke Welt entstanden ist, wem sie ihren Anfang verdankt.
Nicht-Christen sagen dazu vielleicht, dass es keines Anfangs bedarf, weil irgendetwas – vielleicht die Energie – schon immer existiert, oder dass der Anfang in einem „zufälligen Sprung aus dem Nichts“ besteht. Die Naturgesetze regeln die (ewige) Dynamik dieser Energie, die möglicherweise in einem fortlaufenden Expandieren beziehungsweise Kontrahieren des Universums besteht. Die „Hypothese Gott“ ist dafür offensichtlich in keiner Hinsicht erforderlich.
Christen halten diese Argumentation häufig für sehr naiv: „Zufälliger Sprung aus dem Nichts“ oder „ewige Existenz“ – schon diese Wortwahl zeigt doch, dass man offensichtlich zu jeder Verbiegung des eigenen Denkens bereit ist, nur um die simple Tatsache nicht anerkennen zu müssen, dass aber auch gar nichts ewig oder grundlos existieren kann. Alles, was es gibt, muss irgendwie und irgendwann einmal geschaffen worden sein; diese seine Ursache nennen wir „Gott“.
In Wirklichkeit ist es diese Argumentation, die sehr naiv ist: Die Nicht-Christen glauben lediglich das von der Welt, was die Christen – bei der Welt zwar für absurd halten, aber dennoch scheinbar völlig problemlos – von ihrem Gott glauben, nämlich grundlos ewig zu existieren. Woher kommt denn Gott? Was unterscheidet einen ewigen Gott von einer ewigen Welt? Wieso soll jener selbstverständlich und widerspruchsfrei, aber diese absurd und widersprüchlich sein? Wer es so erlebt, hat sich an das Wortpaar „ewiger Gott“ gewöhnt, während „ewige Welt“ (noch) etwas unüblich ist.
Der entscheidende Punkt ist ein ganz anderer:
Ohne Gott kann es nichts geben, das heißt, eine autarke, in sich stehende und funktionierende Welt ist unmöglich, weil in sich widersprüchlich. Unsere oben gestellte Frage, ob sie geschaffen sein muss oder nicht, zielt völlig ins Leere, weil das möglicherweise zu Schaffende gar nicht existieren kann.
Wenn Christen oder Nicht-Christen etwas derartiges vorschlagen, das heißt die Vorstellung einer autarken Welt präsentieren, muss ihre Überlegung einen Denkfehler enthalten. Häufig besteht er darin, dass Heideggers Frage nach dem „Sinn von Sein“ übersehen wurde: Was bedeutet es, dass die Welt – angeblich – ist oder existiert, dass es sie gibt?
Eine Philosophie des christlichen Glaubens müsste ein Weltbild entwerfen, das widerspruchsfrei und damit überhaupt erst denkbar ist. Hierbei wird sich zeigen, dass dies nur dadurch erreicht werden kann, dass die Welt in jedem Hier und Jetzt aus Gott als ihrem Ursprung hervorgegeht – und somit eine Schöpfung am Anfang nicht nur unnötig, sondern sinnleer ist.
Christen, die das nicht für zwingend halten, nehmen ihren eigenen Glauben nicht ernst. Sie haben die Worte „Ohne Gott kann es keine Welt geben.“ auswendig gelernt und wiederholen sie brav, stellen sich aber sehr wohl eine Welt ohne Gott vor – ohne zu merken, dass sie unmöglich, weil widersprüchlich ist. Es ist letztlich schizophren, sich eine Welt ohne Gott vorzustellen und trotzdem zu behaupten, dass dergleichen unmöglich sei.